Auf Initiative der oppositionellen, sozialdemokratischen Partei PASOK wurde im griechischen Parlament ein Misstrauensantrag gegen die Regierung der konservativen Nea Dimokratia (ND) eingereicht. Diese Initiative wurde von mehreren Oppositionsparteien unterstützt.
Die Grundlage für diesen Misstrauensantrag ist, dass sich herausgestellt hat, dass Tondokumente im Zusammenhang mit dem Zugunglück bei Tempi Ende Februar 2023 gefälscht worden sind. Die Regierung hatte diese Dokumente der Öffentlichkeit und der Polizei für die Berichterstattung und weitere Untersuchungen vorgelegt.
Konkret wurde nun bekannt, dass die automatisch aufgezeichneten Dienstgespräche zwischen dem Lokführer des Unglückszugs und dem Stationsvorsteher von Larissa manipuliert wurden. Eine Sonderabteilung der griechischen Polizei (ELAS) hat herausgefunden, dass das bisherige Material, das der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, eine Audio-Montage ist. Dies bedeutet, dass die Öffentlichkeit massiv getäuscht wurde.
Die Gespräche wurden zusammengeschnitten, um eine falsche Darstellung der Ereignisse zu erzeugen. Es wurden Teile der Gespräche des Lokführers des Intercity-Zuges um diejenigen ergänzt, die in einem gleichzeitig verkehrenden Regionalzug stattfanden. Dies legt nahe, dass die Manipulation durchgeführt wurde, um von der politischen Verantwortung der Regierung abzulenken.
Die Enthüllungen werfen erneut Fragen über die Aufklärung des Unglücks auf. Insbesondere wird diskutiert, warum die verunglückten Waggons so schnell nach dem Unglück beseitigt wurden und das Unfallgelände aufgeschüttet wurde, was die Spurensicherung behinderte. Experten hatten darauf hingewiesen, dass der Unfall hätte vermieden werden können, wenn das von der EU finanzierte European Train Control System (ETCS) funktionstüchtig gewesen wäre.
Anstatt sich darauf zu konzentrieren, warum dieses System zwar bestellt und von der EU bezahlt, aber nie funktionsfähig installiert worden ist, macht der von der Regierungspartei in Auftrag gegebene Bericht des Parlaments ausschliesslich den Stationsvorstand von Larissa verantwortlich, der die Weiche fatalerweise falsch gestellt hat. Transition News hat bereits hier und hier darüber berichtet.
Die Diskussion im Parlament wird voraussichtlich eine dreitägige Debatte beinhalten, in der neben dem Zugunglück auch andere Themen erörtert werden. Die Regierung könnte versuchen, den Misstrauensantrag in einen Vertrauensantrag umzuwandeln, um die Diskussion auf andere Themen auszuweiten.
Kürzlich wurde zwar ein Bericht einer Untersuchungskommission veröffentlicht, in dem keine politische Verantwortung festgestellt wurde. Doch die Oppositionsparteien sprachen sich geschlossen gegen diese Interpretation aus. Die Fälschung der Tondokumente hat die Debatte nun erneut angeheizt und die Forderung nach einer umfassenden Aufklärung verstärkt.
Kommentar Transition News
Im heutigen Griechenland gehört eine gehörige Portion Mut dazu zu enthüllen, dass die Regierung nicht nur lügt, sondern diese Lügen auch mit gefälschten Tondokumenten unterfüttert. Alle staatlichen Stellen in Hellas arbeiten weisungsgebunden – auch Polizei und Justiz.
Die Regierung ging davon aus, dass das Ganze mit einem wohlwollenden Bericht an das Parlament erledigt sei. Dieser Bericht blendete die gravierenden Versäumnisse der Regierung aus und schob die ganze Schuld dem Stationsvorstand von Larissa zu.
Sie rechnete aber nicht damit, dass die Fälschung des Tondokumentes ans Licht kommt. Sie rechnete auch nicht mit der «Mutter Courage» Maria Karystianou, die ihre 20-jährige Tochter beim dem Zugunglück verloren hatte. Nun kämpft die Thessaloniker Ärztin für Gerechtigkeit. Sie sprach vor einem griechischen Parlamentsausschuss und vor dem EU-Parlament. Im Rahmen einer Petition für lückenlose Aufklärung hat sie in Griechenland über eine Million Unterschriften gesammelt – das gab es bisher noch nicht.
Der Misstrauensantrag wird scheitern, aber das Thema ist nicht erledigt und im Hinblick auf die Europawahlen nimmt die Polarisierung zu.