Der Begriff «Hikikomori» kommt aus dem Japanischen und definiert Menschen, die sich in einem Raum oder einer Wohnung isolieren. Sie pflegen nur noch den nötigsten Kontakt zur Gesellschaft. Auch viele Jugendliche sind davon betroffen. Oft verbringen sie die meiste Zeit vor dem Computer. Beliebt sind Videospiele und soziale Medien.
In einem Video berichtet nun eine italienische Mutter von ihren Erfahrungen im Umgang mit ihrem Sohn Gabriele, der von dieser Störung des Sozialverhaltens betroffen ist. Cinzia, die ihren Nachnamen nicht nennt, betont, wie wichtig es ist, Menschen mit diesem Problem zu verstehen und zu unterstützen. Geholfen hätten Gabriele schliesslich Psychologen und sein Engagement in der Freiwilligenarbeit.
Cinzia erklärt, dass Gabriele während seiner Schulzeit zum Hikikomori wurde. Seit Beginn der Oberstufe habe er begonnen, sich in seinem Zimmer zu isolieren und die Beziehungen zur Aussenwelt abzubrechen.
Die Mutter berichtet von den Kämpfen, die sie mit Gabrieles Zustand hatten. Angefangen habe es damit, dass er in der Schule geschlafen habe. Zu Hause habe er seine Hausaufgaben nicht gemacht und nicht gelernt. Jeden Morgen habe es Streit gegeben, weil Gabriele nicht in die Schule gehen wollte. Die Mutter habe ihn mit dem Auto dorthin bringen müssen, da er sich weigerte, den Bus zu nehmen. «Man merkte, dass es dem jungen nicht gut ging. Er hatte Probleme», so Cinzia. Sie stellt fest:
«Ein Hikikomori-Kind zu haben, bedeutet, dass man sich selbst komplett in Frage stellen muss, weil man sich schuldig fühlt und sich fragt, was man falsch gemacht hat. Und dann, weil man lernen muss, wie man von Grund auf zu Eltern wird.»
Ein Artikel der italienischen Hikikomori-Vereinigung habe Cinzia geholfen, Gabrieles Problem zu verstehen. Bei Psychologen habe ihr Sohn dann Hilfe gefunden.
Nach zwei Jahren Abwesenheit gehe Gabriele nun wieder in die Schule. Allerdings ist er nun schon 24 Jahre alt und muss noch das fünfte Jahr der Oberstufe abschliessen. Die Mutter befürchtet, dass sich ihr Sohn wieder zurückziehen wird, sobald die Maturitätsprüfungen nahen.
In Japan sind schätzungsweise 1,2 Prozent der Bevölkerung – also etwa eine Million Menschen – von dieser sozialen Störung betroffen. In Italien wird die Zahl der Hikikomori auf mindestens 100’000 geschätzt. Davon sollen etwa 50’000 Jugendliche sein. Für das restliche Europa gibt es keine Zahlen.
Die erste europäische Studie über Menschen, die extrem zurückgezogen leben, wurde 2018 in Spanien durchgeführt. Sie stellte fest, dass die meisten der Betroffenen unter Ängsten, Depressionen oder Psychosen leiden. Im Durchschnitt waren diese Einsiedler rund 40 Jahre alt und lebten seit drei Jahren extrem isoliert.
Anzumerken ist auch, dass die Covid-Massnahmen, wie Lockdowns und soziale Distanzierung, das Problem verschärft haben.