Den Entwurf für das neue «Demokratiefördergesetz» habe ich mir näher angeschaut, einschliesslich seiner Problembeschreibung und Ziele. Da dachte ich erst einmal: «Nun, das klingt doch alles sehr gut. Der umfangreiche Begleittext nimmt alle Arten von Extremismus in den Blick: neben dem Rechtsextremismus auch jenen von links und den von islamistischer Seite.» Der Focus liegt jedoch auf dem «rechten Rand der Gesellschaft».
Neben Extremismus soll ebenso «gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit» bekämpft werden. Auch das ist selbstverständlich zu begrüßen. Wir alle wollen doch in einer Gesellschaft leben, in der niemand aufgrund seiner Meinung, seiner Herkunft, sexuellen Orientierung etc. diskriminiert wird.
Es kommt noch besser: Sogar Demokratie und kontroversen Diskurs will man fördern. Ja, das kann ich unterschreiben, mit einem Textmarker hervorheben und siegeln.
Als ich mir dann jedoch die gemeinsame Pressekonferenz der Innen- und Familienministerin und dem Präsidenten des Verfassungsschutzes anschaute, trübte sich mein Eindruck. Die Stossrichtung schien mir grundsätzlich gegen nicht erwünschte Meinungen und damit gegen die Meinungsfreiheit selber zu gehen.
Da muss ich mich nun fragen: Wer besetzt die Begriffe? Wer sagt und definiert, was zum Beispiel Sexismus ist, wer definiert «queerfeindlich» oder «frauenfeindlich»? Die überall in Deutschland mit staatlicher Förderung eingerichteten Meldestellen? Oder die − wenn es nach dem Willen von Kulturministerin Claudia Roth geht − ebenfalls staatlich alimentierten landesweiten Antifa-Gruppen? Oder am Ende «Correctiv»?
Und was ist unter einer «gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit» zu verstehen? Fällt darunter auch die Hetze gegen Ungeimpfte in der sogenannten Corona-Pandemie? Wohl kaum, denn diese Feindlichkeit wurde ja von einem breiten Spektrum aus Politik und Medien mitgetragen. Außerdem fällt, wer als Blinddarm der Gesellschaft bezeichnet wird, ohnehin aus allen Erwägungen zur Menschlichkeit heraus.
Eine Frau Strack-Zimmermann kann alle Mitglieder und Wähler einer ihr missliebigen Partei als einen Haufen Sch… betiteln, ohne dass sie Konsequenzen befürchten müsste. Wenn aber ein Unternehmer auf seinem Grundstück zwei satirische Plakate halbwegs witzigen Inhalts aufhängt, dann trägt ihm das eine Hausdurchsuchung ein. Schon macht das Wort in den sozialen Medien die Runde: Das Nervigste an der Meinungsfreiheit ist das Aufräumen nach der Hausdurchsuchung.
Was ist eine «Wissenschaftsleugnung», gegen die nun erklärtermassen vorgegangen werden soll? Alles, was nicht auf der Linie von WHO und Bundesregierung liegt? Das Gesetz möchte Menschen befähigen, daß sie kontrovers diskutieren können; an sich ein gutes Ansinnen. Doch wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie rasch und wie vehement jede kontroverse Diskussion abgewürgt werden kann.
Wer also die Begriffe besetzt und definiert, der bestimmt auch, wer und was damit bekämpft und wessen Haus dann entsprechend durchsucht wird. Ist aber eine Diskussion erst einmal moralisch aufgeladen, kann sie nicht mehr sachbezogen geführt werden. Der Missbrauch dürfte diesem Gesetz damit in die Wiege gelegt sein.
Damit dürften sich dann einmal mehr in der Geschichte die Worte von Jesus an seine Jünger bewahrheiten: «Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an» (Markus 10,42)
Doch immer weniger muss von staatlicher Seite direkt eingegriffen werden. In vorauseilendem Gehorsam werden YouTube-Kanäle gelöscht oder wissenschaftliche Vorträge an Universitäten abgesagt, weil sie sich mit den offenkundigen beiden biologischen Geschlechtern des Menschen auseinandersetzen. Die Einschüchterungen durch eine sogenannte Cancel-Culture scheint allgegenwärtig zu sein; Auswege aus dieser Unkultur zeigt zum Beispiel Michael Andrick mit seinem Buch «Im Moralgefängnis» auf.
Wenn aber staatliche Akteure und ihre vermeintlichen Nicht-Regierungsorganisationen am Drücker sitzen, wenn sie Begriffe wie auch Ziele definieren und offen andere Meinungen bekämpfen, dann fördert dieses Gesetz eben nicht die Demokratie, sondern die Uniformität und eine weitere Spaltung der Gesellschaft.
Ich fühle mich an die Konzilien von Nicäa (354 n.Chr.) und Konstantinopel (451 n.Chr.) mit ihren jeweiligen Abschlußurkunden erinnert, dem Nicänum und dem Nicäno-Konstantinopolitanum. Mit dem Glaubensbekenntnis von Nicäa sollte der lange schon erbittert geführte Streit entschieden werden, wer dieser Jesus denn nun eigentlich sei: ein besonders geistbegabter Mensch, also ein Geschöpf Gottes − wie Arius aus Ägypten glaubte −, oder Gott selbst in Menschengestalt, wie das die sogenannten Monophysiten aus dem überwiegend orientalischen Raum meinten. Die Kompromissformel lautete dann: Er sei «wahrer Mensch und wahrer Gott, unvermischt und ungetrennt».
Auf dem andere Konzil, hundert Jahre später, wurde die Frage beraten, wie der Heilige Geist zu verstehen sei. Am Ende hob man das trinitarische Bekenntnis aus der Taufe: Vater, Sohn und Heiliger Geist sind alle drei der Eine Gott, gleich an Macht und Ewigkeit. Wer diesen Bekenntnissen nicht folgte (wie die Bewegung der Arianer), wurde aus dem Römischen Reich verbannt.
Das neue Gesetz zur «Demokratieförderung» und die inzwischen allgegenwärtige Cancel-Culture bezeichne ich daher als ein schleichendes säkulares Glaubensbekenntnis, das alle, die ihm nicht folgen, aus dem öffentlichen Leben verbannen will.
Sollten sich Christen aus solchen Streitigkeiten nicht an sich heraushalten? «Lasst uns den Glauben, und wir lassen wir euch die Macht»? Oder wie Martin Luther 1529 in dem Lied «Ein‘ feste Burg ist unser Gott» dichtete: «Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib; laß fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn. Das Reich muß uns doch bleiben.»
Sie ahnen, dass meine Antwort nein lautet. Einer geradezu dämonischen Schläue der einen Seite können wir nicht einfach duldsames Schweigen entgegensetzen. Starke Worte gegen das Handeln der Mächtigen finden wir bereits im Alten Testament, zum Beispiel bei den Propheten Amos (5,21-24) und Jesaja (58,6f).
Sofern wir uns in den modernen Kirchen als Nachfahren im Glauben dieser Menschen sehen wollen, dann kann es genausowenig unsere Aufgabe sein, Macht zu stützen, sondern wir müssen den Mächtigen genau auf die Finger schauen. Es kann nicht darum gehen, eine bestimmte Partei als für Christen nicht wählbar einzuordnen (wie jüngst die Deutsche Bischofskonferenz), sondern wir müssen jeglichem Machtmissbrauch mit Argumenten und gegebenenfalls lauter Stimme begegnen.
Ich selber bin in einem linken Milieu aufgewachsen, in dem man noch kontrovers politisch diskutieren konnte. Der ständig begleitende Konsens war dabei: «Wenn staatliche Akteure sagen, sie meinen es wirklich gut mit einem − dann sei besonders wachsam.»
************
Edgar Rebbe ist Gemeindepfarrer in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Varel. Er hat sich während der Coronazeit mit seinen kritischen Äusserungen zu diversen Massnahmen nicht nur Freunde gemacht. In Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen ermutigt er zu offener Diskussion und respektvollem Miteinander.
Kommentare